10.04.2008

Legale Aktionen kriminalisiert?

Der Verteidiger über die 129b-Verfahren gegen türkische Oppositionelle / Der Hamburger Rechtsanwalt Hans-Jürgen Schneider verteidigt den türkischen Journalisten Mustafa Atalay

ND: Zur Zeit läuft vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht ein Prozess gegen fünf Angehörige der türkischen Organisation DHKP/C wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Die »Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front« steht auf der Terror-Liste der Europäischen Union sowie der USA und ist in der Türkei und Deutschland verboten. Verfahren gegen die Organisation sind nicht neu, was ist das Besondere bei einem Prozess nach Paragraf 129b?

Schneider: Das Besondere ist, den Angeklagten werden keine Aktionen gegen die Bundesrepublik Deutschland zur Last gelegt. Die Anklage beschuldigt sie vielmehr, in europäischen Ländern Aktionen gegen die Türkei geplant und vorbereitet zu haben. Im Ergebnis werden in Deutschland bisher legale Aktionen wie die Mitarbeit in Vereinen und das Sammeln von Geld für die Familien von politischen Gefangenen in der Türkei kriminalisiert. Dabei sollen erstmals in großem Maße Dokumente aus der Türkei in das Verfahren eingeführt werden.

Spielt die Kritik an der Menschenrechtssituation in der Türkei eine Rolle in dem Verfahren?

Die Türkei wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mehrmals wegen der Verletzung von Menschenrechten verurteilt. Auch in Asylverfahren wird die Menschenrechtslage in der Türkei immer wieder thematisiert. Deshalb lehnt es die Verteidigung ab, Dokumente und Unterlagen aus der Türkei in das Verfahren einzuführen. Die Bundesanwaltschaft sieht das allerdings anders. Sie hat sich schon im September 2007 mit Vertretern der türkischen Polizei- und Anklagebehörden zur Vorbereitung des Verfahrens in Istanbul getroffen.

Wie lange wird das Verfahren dauern und wie hoch könnte das Strafmaß sein?

Ein Ende des Verfahrens ist noch nicht abzusehen. Bei einer Verurteilung könnte den Angeklagten eine Höchststrafe von zehn Jahren Haft drohen.

Was bedeutet die Anklage nach Paragraf 129b für die Haftbedingungen der Beschuldigten?

Da es sich um einen Zwillingsparagrafen des 129a handelt, sind die Haftbedingungen für die Beschuldigten ähnlich. Sie sitzen in Isolationshaft und werden in Handschellen zum Prozess gebracht. Besonders zugespitzt ist die gesundheitliche Situation meines Mandanten Mustafa Atalay. Er war schon in der Türkei wegen seiner politischen Betätigung lange inhaftiert und gefoltert worden. Unmittelbar nach einer schweren Herzoperation war er in einer Rehabilitationsklinik verhaftet worden und befindet sich seitdem in Isolationshaft.
Müsste er nicht eigentlich aus der Haft entlassen werden?

Der Arzt im Untersuchungsgefängnis von Hannover, wo Atalay auch kurzzeitig inhaftiert war, hat wegen dessen schlechten Gesundheitszustands jede weitere Behandlung abgelehnt. Atalay wurde dann aber nicht freigelassen, sondern ins Justizkrankenhaus Lingen verlegt. Der Gesundheitszustand meines Mandanten verschlechterte sich dann weiter. Nach einer Herzoperation im Februar 2008 ist jetzt noch ein Eingriff notwendig. Trotzdem hat das Gericht alle Anträge auf Haftentlassung aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt.

Wissen Sie von geplanten Solidaritätsaktionen?

Ja. Durch eine Prozessbeobachtung soll eine größere Öffentlichkeit für das Verfahren hergestellt werden. Zudem wird es demnächst in verschiedenen Städten Informationsveranstaltungen geben. Auch eine Demonstration in Stuttgart ist in Vorbereitung.

Fragen: Peter Nowak

(Artikel erschienen am 10.04.2008 in Neues Deutschland)