02.04.2008

»Kampf der Armen vor Gericht«

Terrorismusprozeß gegen türkische Kommunisten in Stuttgart-Stammheim

Nick Brauns

Als angebliche Unterstützer einer »ausländischen terroristischen Vereinigung« müssen sich fünf türkische Kommunisten seit 17.März in einem von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachteten Prozeß vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht verantworten.

Am Montag fand der dritte Verhandlungstag gegen vier türkische und einen deutschen Staatsbürger türkischer Herkunft, darunter der Rechtsanwalt Ahmet Düzgün Yüksel und der Journalist Mustafa Atalay, im Gerichtssaal des Hochsicherheitsgefängnisses Stuttgart-Stammheim statt.

Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, Funktionäre der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front DHKP-C gewesen zu sein, »deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag zu begehen«. Die Angeklagten sollen in der Bundesrepublik Geld gesammelt, neue Mitglieder rekrutiert sowie den Transport von Schußwaffen, Mobiltelefonen und Ausweispapieren in die Türkei organisiert haben.

Die seit 1998 in Deutschland verbotene und auf den Terrorlisten von EU und USA aufgeführte DHKP-C beruft sich in ihrem Programm auf eine marxistisch-leninistische Weltanschauung und kämpft in der Türkei für die »Errichtung der revolutionären Macht aller Volkskräfte, die gegen Oligarchie und Imperialismus sind«.

Nach Informationen der Gefangenenhilfsorganisation Tayad basieren die Verhaftungen der fünf Männer im November 2006 und April 2007 auf Aussagen eines Polizeispitzels, der sowohl im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MIT als auch des Bundesnachrichtendienstes (BND) operierte.

Der 51jährige schwer herzkranke Atalay wurde während einer bundesweiten Großrazzia direkt aus einer Reha-Klinik in eine Isolationszelle in die JVA Hannover gebracht und erst nach öffentlichen Protesten vorübergehend in ein Gefängniskrankenhaus verlegt. Die Situation des jetzt in der JVA Freiburg Inhaftierten sei weiterhin ernst, und es bestände Herzinfarktgefahr, warnen jetzt die behandelnden Ärzte. In Haft sei keine Genesung möglich.

Der Prozeß sei aufgrund des Sammelns von Beweisen 16 Monate lang willkürlich aufgeschoben worden, in denen die Angeklagten in Untersuchungshaft gehalten wurden, kritisierten die Anwälte. So seien Justizakten aus der Türkei angefordert worden, obwohl die Angeklagten wegen Aktionen in der Türkei nicht verurteilt werden könnten.

In Stammheim ständen »sozialistisches Gedankengut und der Kampf der Armen vor Gericht, während der Faschismus der Türkei freigesprochen werde«, erklärte Atalay, der in der Türkei aufgrund seiner politischen Aktivitäten bereits langjährig inhaftiert war, in seiner Prozeßerklärung. »Ich muß den Faschismus und die Folter in der Türkei nicht beweisen. Ich stehe Ihnen gegenüber. Mein ganzer Körper ist voller Brüche und Narben.«

Bei dem bis Ende Mai terminierten Verfahren handele es sich um den ersten großen Paragraph-129-b-Prozeß gegen Nicht-Muslime seit Einführung dieses Paragraphen in Folge der Anschläge vom 11. September 2001, wies Rechtsanwalt Heinz-Jürgen Schneider gegenüber junge Welt auf die Bedeutung des Verfahrens hin.

Bislang wurde die Mehrzahl der Paragraph-129-b-Verfahren gegen Unterstützer der im Irak aktiven kurdisch-islamischen Ansar Al-Islam geführt. Seit letztem Jahr ermittelt die Bundesanwaltschaft auch gegen Anhänger der in Deutschland legalen maoistischen »Türkischen Kommunistischen Partei Marxisten-Leninisten« wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung.

(c) Junge Welt 2008

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