06.04.2008

Antifaschistisch, antikapitalistisch, antiimperialistisch = §129b Anklage






Prozessbeobachtung der Roten Hilfe in Stuttgart-Stammheim vor dem OLG seit 17.März 2008


Auf diese schlichte Formel der Überschrift könnte es am Ende des Verfahrens gegen die Angeklagten: Mustafa Atalay, Ilhan Demirtas, Devrim Güler, Hasan Subasi und Ahmed Düzgün Yürksel hinauslaufen wenn man dem Vorsitzenden Richter Wieland am Oberlandesgericht (OLG) und seinen Beisitzern bei ihrer Art den Prozess zu führen zusehen muss.

Die Generalbundesstaatsanwaltschaft hat Anklage nach §129b , wegen Unterstützung einer ausländischen, terroristischen Vereinigung (DHKP-C; Revulotionäre Volksbefreiungspartei-Front), mit dem Vorwurf Spenden gesammelt zu haben, und damit unter anderem den Kauf von Waffen, für den militärischen Widerstand in der Türkei, finanziert zu haben. Ferner wird unterstellt, dass der Transport von Waffen organisiert wurde.

Jeder Internationalist steht nun in der BRD unter dem Damoklesschwert des §129b.

Bereits im September 2001 lag ein Entwurf vor, der den §129(a) um den §129b erweitern sollte. Im April 2002 wurde der 129b bereits verabschiedet.

Vorgegeben wurde die Bedrohung durch den sogenannten islamistischen Terrorismus, der mit diesem Paragraphen bekämpft werden sollte. Damit ist der reaktionäre §129, der 1976 verabschiedet worden ist, in Verbindung mit anderen Gesetzesveränderungen bestens dazu geeignet Grund- und Freiheitsrechte in der BRD weiter zu demontieren.

Die nach dem Naziterror eingeführte und im Grundgesetz verankerte Trennung von Polizei und Geheimdiensten wurde faktisch aufgehoben.

Die Rechte der Verteidigung sind stark beschnitten worden.

Immer wieder muss der Vorsitzende während der vergangenen Verhandlungstage, von den Anwälten unterbrochen werden, wenn er zum Beispiel eine Zeugin des Bundeskriminalamtes (BKA) darüber aussagen lassen möchte welchen Inhalt ein Urteil aus dem Folterstaat Türkei hat, das zudem noch vor 2001 von einem Staatssicherheitsgericht gefällt wurde, in denen die Richter dem Militär unterstanden und weisungsgebunden waren.
Die Anklage und der Senat werden sich in diesem politischen Prozess noch des öfteren auf die umfangreiche Aktensammlung, welche die türkische Justiz extra gegen die Angeklagten zusammengestellt hat, berufen wollen.

Die Frage bleibt nun ob sich der Senat an demokratischen Rechtsnormen messen lassen möchte oder ob bereits andere Maßstäbe auf Menschen mit einem revulotionären, internationalistischen Bewusstsein in der BRD angewendet werden sollen. -Denn in der Europäischen Union (EU) hat die Hexenjagd spätestens am 1. April 2004 begonnen, als im „Kampf gegen den Terror“ in Belgien, Italien, Holland, Deutschland und der Türkei koordiniert Objekte, im vermuteten DHKP-C Umfeld, durchsucht wurden und an die 90 Personen festgenommen wurden!

Die „schwarzen Listen“ der EU beinhaltet Datenmaterial, welches den Betroffenen nicht öffentlich gemacht wird. So ist es nicht möglich gegen die Sammlung der Daten zu prozessieren ...
Die „schwarze Liste“ der USA wurde in diesem Jahr von der EU anerkannt. Dies schien bis dato unmöglich. Anklageerhebungen die darauf erfolgen, dass Organisationen auf diesen Listen stehen, bewegen sich außerhalb des demokratischen Rechts.
Gerichte werden jedoch angewiesen, auf Grund solcher Vorgaben Anklagen zu erheben. Die „Antiterrorgesetzgebung“soll lediglich dazu dienen, den berechtigten Kampf gegen Faschismus und Imperialismus zu kriminalisieren und isolieren. Das solche Unterfangen nichts bringen zeigt die Geschichte.

Am 03.04.2008 wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) das Urteil gefällt die nationalistische PKK von der „schwarzen Liste“ streichen zu müssen. Wir sind gespannt, ob es gelingt, eine revulotionäre Partei, wie die DHKP-C von dieser Liste zu bekommen.

Hauptzeuge der Anklage ist ein zwielichtiger Polizeispitzel und Doppelagent, welcher im Namen der BRD und der Türkei spioniert hat und somit vom BND und dem türkischen Auslandsgeheimdienst MIT gelenkt wird. Auf dessen Aussage hat die Generalbundesanwaltschaft zwischen dem 15. bis 28. November 2006 in einer bundesweiten Razzien-Welle insgesamt 59 Objekte durchsucht und dabei versucht Strukturen der verbotenen DHKP-C und deren Umfeld aufzudecken. Hierbei wurden vier der fünf Angeklagten festgenommen. Sie verbringen bereits über 16 Monate in Haft.

Die Durchsuchungen nahmen den Anfang in Augsburg und wird uns dieses Jahr noch zwei ähnlich gelagerte Prozesse gegen Genossen am OLG München bescheren.

Die DHKP-C ist in der Türkei gut etabliert und ist Teil des breit angelegten politischen Widerstandes gegen das antidemokratische System in der Türkei, in welcher gerade wieder das Gespenst eines Militärputsches umgeht.

Das Militär wurde gerade in der Ära Kohl im großen Stil mit Waffen ausgerüstet, welche überwiegend als Geschenk aus ehemaligen NVA Beständen gemacht wurden. Auch Leopard 2 Kampfpanzer wurden geliefert. Diese Waffen wurden, dem scheinheiligen Verbot der Bundesregierung zum Trotz, gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt, haben einen hohen Blutzoll gefordert und Angst und Schrecken verbreitet.

Die verbotene Partei DHKP-C unterhält Stadt- und Landguerilliaeinheiten, welche sich gegen staatliche Übergriffe zur Wehr setzen. Diese haben im Grenzgebiet zum Irak türkische Truppen angegriffen, welche völkerrechtswidrig einen autonomen Staat angegriffen haben.
Dies ist ein Widerstand, den das Grundgesetz der BRD nach den Erfahrungen des 3. Reiches für Bundesbürger, in einem vergleichbaren Zustand in Deutschland, ausdrücklich legalisiert hat. Das Papier, auf dem dies geschrieben steht ist natürlich Makulatur sobald wir es in Anspruch nehmen werden. Wir sehen gerade, dass das Kapital dieses Recht auch nicht gegen befreundete, antidemokratische Systeme angewendet sehen möchte.

Nach wie vor „verschwinden Menschen“ in der Türkei, werden auf offener Straße erschossen, ohne Anklage, zum Teil über Jahre, in Haft genommen, werden gefoltert. Gerade hat der Prozess gegen die bekannte Menschenrechtlerin und Rechtsanwältin Erin Keskin uns noch ins Bewusstsein gebracht, dass in der Türkei laufend Verfahren unter der Anklageerhebung der „Verunglimpfung des Türkentums“ mit hohen Haftstrafen verhängt werden. Das nicht anerkennen von unterschiedlichen Ethnien und deren Unterdrückung bedeutet für türkische Staatsbürger permanente Bedrohung und Unterdrückung im Alltag.

Die DHKP-C versteht sich als revulotionäre Kraft und lehnt Anschläge gegen die Zivilbevölkerung ab. Ihr Ziel ist die Schaffung einer kommunistischen Gesellschaft in der die Menschen wieder in einer freiheitlichen Rechtsordnung leben können. Die Mittel des Kampfes sollen sich darum auch ausschließlich gegen die Strukturen der Unterdrücker richten.

Als in Deutschland öffentlich für Waffen für Elsalvador gesammelt wurde gab es keine Strafverfahren gegen Spender und deren Sammler. Hier war das Handeln des Bürgers nicht strafwürdig. Wer also bestimmt, was Terrorismus ist? Eine weltweit rechtsgültige Definition gibt es nicht. Es sind die Herrschenden, die bestimmen was den Verwertungskriterien des Kapitals entgegensteht und was nicht.

In Stuttgart-Stamheim stehen vor dem OLG fünf Personen die in Isolationshaft genommen wurden. Einer Haftform die laut amnesty international (ai), besser als Folter zu bezeichnen ist. Sie zielt langfristig darauf ab Menschen physisch und psychisch krank zu machen und ihrer politischen Identität zu berauben.
Speziell Mustafa Atalay (51 Jahre) leidet unter diesen Haftbedingungen in besonderer Weise. Nach einer schweren Herzoperation (Bypass-OP) ist er am 21. Tag aus der Rehaklinik, gegen den Protest der behandelnden Ärzte, verschleppt worden und direkt in Isolationshaft genommen worden.
Auch während dem Prozess gegen ihn muss er noch Schmerzen hinnehmen und sich sogar mit Hilfe seiner Anwälte für eine, leider notwendige, erneute Operation vor dem Senat des OLG stark machen.
Seitdem er nach dem Aufenthalt in der Rehaklinik nicht mehr ausreichend medizinisch betreut wurde muss man feststellen, dass sein Tod zumindest billigend in Kauf genommen wird.


Für eine sofortige Freilassung von Mustafa Atalay!


Für die vollständige Rehabilitierung der politischen Gefangenen und die Anerkennung eines Widerstandsrechtes gegen die Türkei!



Marc Burowski



Der Autor hat die Türkei ab 1998 als Journalist und Deligationsteilnehmer in Sachen Völkerrecht und als Menschenrechtsaktivist bereist. Er hat Prozesse vor Staatssicherheitgerichten verfolgt.



Der Artikel ist im Rote Hilfe Magazin Nr. 2/2008 mit Bildern zum Prozess zu lesen Schafft Rote Hilfe - Solidarität ist eine Waffe!